Presseberichte des BSV Wevelinghoven

Neuß-Grevenbroicher-Zeitung

Historiker erinnern an Pogrom vor 925 Jahren

1096 kam es an der Erft in Wevelinghoven zu einem Massenselbstmord jüdischer Menschen.
925 Jahre später wird an diese schrecklichen Ereignisse erinnert – an dem vermutlichen Schauplatz einer Tat, die aus Verzweiflung geschah.

 

INFO I Gedenkfeier mit Vereinsbeteiligung

Sie findet am Donnerstag, 24. Juni, an der Motte in Wevelinghoven statt. Der Geschichtsverein und der Kreisheimatbund arbeiten dabei unter anderem mit dem Bürgerschützenverein Wevelinghoven und dem Verein „Historisches Wevelinghoven“ zusammen.

 

„925 Jahre Erinnerung“ ist der Titel einer Gedenkveranstaltung, die der Kreisheimatbund und der Geschichtsverein zurzeit gemeinsam planen. Am 24. Juni soll der jüdischen Menschen gedacht werden, die am Johannistag 1096 in den Benden von Wevelinghoven aus Verzweiflung den Freitod wählten. Sie waren auf der Flucht vor ihren Häschern.

Im Vorfeld des ersten Kreuzzuges hatte sich eine Armee von Bauern und niedrigen Adeligen zusammengefunden und sich auf eigene Rechnung auf den Weg nach Jerusalem aufgemacht. Bis zu 20.000 Menschen zogen durch das Land, dabei kam es – aufgestachelt durch Hasspredigten – zu Pogromen gegen die jüdischen Gemeinden von Speyer, Worms, Trier und Köln. „Vor allem im Rheinland kamen sie auf die Idee, die Juden als vermeintliche Feinde der Christen heimzusuchen“, schildert Ulrich Herlitz, Vorsitzender des Geschichtsvereins. „Mehre tausend jüdische Menschen wurden so Opfer der Pogrome.“

Erzbischof Hermann III. von Hochstaden verteilte die Kölner Juden auf sieben der in seinen Territorien vorhandenen Burgen und Städten, die unter anderem auch in Neuss und Wevelinghoven verortet werden. Doch der Schutz sollte vergeblich sein. Am 24. Juni 1096, dem Johannisfest, fielen die Horden in Wevelinghoven ein. Taufe oder Tod – vor diese Alternative gestellt, entschieden sich fast alle Juden, die vor ihren Verfolgern geflüchtet waren, für den Freitod.

Erzbischof Hermann III. von Hochstaden verteilte die Kölner Juden auf sieben der in seinen Territorien vorhandenen Burgen und Städten, die unter anderem auch in Neuss und Wevelinghoven verortet werden. Doch der Schutz sollte vergeblich sein. Am 24. Juni 1096, dem Johannisfest, fielen die Horden in Wevelinghoven ein. Taufe oder Tod – vor diese Alternative gestellt, entschieden sich fast alle Juden, die vor ihren Verfolgern geflüchtet waren, für den Freitod.

"Drei zeitgenössische hebräische Berichte sind über die Pogrome des Jahres 1096 erhalten, zwei davon erzählen auch detailliert über die Ereignisse in der heutigen Gartenstadt“, sagt Ulrich Herlitz. Die Schilderung des Elieser bar Nathan spricht dabei ausdrücklich von der „Ortschaft Wevelinghoven“ und ist damit die erste quellenkundliche Erwähnung des Dorfs. In der Chronik des Salomon bar Simson wird deutlich, was der Märtyrertod der nach Wevelinghoven geflohenen Juden bedeutete, die sich vor die Alternatve „Tod oder Taufe“ gestellt sahen. „In einer sehr detaillierten, erschütternden und zugleich sehr berührenden Weise berichten die beiden Chronisten von den Ereignissen“, sagt Ulrich Herlitz.

Der geflüchtete Mar Elasar HaLevi und seine Ehefrau litten tagelang in den Sümpfen. „Die Feinde peinigten sie mit großen Qualen und fügten ihnen viele Wunden zu, kamen stündlich, denn die Wasserseen, von wo sie herausgegangen, lagen in der Nähe des Ortes, sie pflegten sie hart zu schlagen“, heißt es in einer Chronik. Beide Eheleute verweigerten sich der Zwangstaufe, Elasars Frau starb als erste an Hunger und Durst, ihr Mann überlebte sie noch um drei Tage.

Viele der nach Wevelinghoven geflüchteten Juden richteten sich selbst oder gegenseitig. „Und als die Feinde vor die Ortschaft kamen, stürzten sie sich in die „rings um den Ort“ fließende Erft, „ertränkten sich im Fluss“ und starben. „Bräutigame und schöne Bräute, alte Männer und Frauen, Jünglinge und Mädchen streckten den Hals aus und schlachteten einander, sie gaben ihre Seele dahin zur Heiligung des Namens in den Wasserseen rings um die Ortschaft“, heißt es weiter.

„Zur religiösen Rechtfertigung des im jüdischen Glauben an sich verbotenen Suizids nahmen die Chronisten dabei Bezug auf die Opferung Isaaks, verglichen mit der rituellen Schlachtung“, sagt Herlitz. Laut den Chronisten habe es kaum Überlebende gegeben. Der Pogrom fand nicht nur in Wevelinghoven, sondern mit einer Ausnahme in allen sieben Ortschaften statt, wohin der Kölner Erzbischof die Juden verbracht hatte.

Die rheinischen Pogrome sind in das kollektive jüdische Bewusstsein eingezogen. „,Gezerot Tatnu’, die Verfolgungen des Jahres 4856 des jüdischen Kalenders, ist bis in unsere Tage im synagogalen Ritus vertreten – vor allem durch das Gebet ,Aw HaRachamim’, das unmittelbar nach den Pogromen entstand“, berichtet der Vorsitzende des Geschichtsvereins.

Im Jahr 1996 gab es in Wevelinghoven eine vom Bürgerschützenverein organisierte historische Woche, in der das Pogrom thematisiert wurde. Unter anderem wurde an der Motte – am mutmaßlichen historischen Ort an der Erft – eine Gedenkstele aus Stahl errichtet. Im Rahmen einer interreligiösen Feier mit Geistlichen der christlichen Kirchen und der jüdischen Gemeinde Mönchengladbach wurde zudem ein Gedenkstein errichtet und eine Zeder gepflanzt.

Am 24. Juni, 925 Jahre nach den Ereignissen, wollen Geschichtsverein und Kreisheimatbund gemeinsam mit anderen örtlichen Vereinen an die jüdischen Menschen erinnern. „An diesem Tag sollen vor allem die Originalquellen sprechen und die Berichte zu Wevelinghoven vorgelesen werden“, sagt Ulrich Herlitz. In Gedenken an die Opfer soll zudem das Gebet „HaRachamin“ gesungen werden – bewusst am vermutlichen Schauplatz und vor der Kulisse des wohl aus jener Zeit stammenden Mottenhügels, der illuminiert werden soll. Wegen der Pandemie wird diese Feier voraussichtlich online durchgeführt.

Quelle: Neuß-Grevenbroicher-Zeitung (Wiljo Piel) vom 07.05.2021 I FOTO: Oliver Benke

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